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Jenny Berger
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1. Fragment

Nachdenken über mein künstlerisches Arbeiten: Die Auflösung von Körpern

Das eigentliche Thema, mit dem ich mich in meiner Malerei auseinandersetze, ist immer "Auflösung" gewesen.

Aber was bedeutet das hier: etwas löst sich auf?

Ist es das Bildsujet, das sich auflöst, oder ist Auflösung der Ausdruck davon, dass ich keinen Gegenstand habe, den ich male oder malen will?

Bei dem Verfahren der Auflösung mit den Mitteln der Malerei bin ich zunehmend auf etwas für mich Paradoxes gestoßen: Ölfarbe und der Bildträger Leinwand, sind sehr feste, kompakte und an sich sehr körperliche Materialien. Die Frage stellte sich aber: was will Malerei damit materialisieren und verkörperlichen? Von etwas ein Bild machen heißt, in einem Akt etwas nicht mehr Sichtbares (ein Modell/Objekt, das man vor Augen hatte, eine Idee/einen Gedanken, das Wahrgenommene), wieder sichtbar zu machen, festzuhalten und im Material, dem Bildmedium zu fixieren. Die Dinge und Körper, die uns umgeben, die eigene Wahrnehmung und die eigenen Gedanken ereignen sich als prozesshafte Bewegung in der Zeit und im Raum. Sie sind Veränder-ungen und ihrer Fragilität und Vergänglichkeit unterworfen. Diese Bewegungen und Flüchtigkeiten, Atmosphären, die man nicht greifen kann, sind das Faszinierende. Das hergestellte Bild dagegen hat immer ein statisches Moment. Es ist in seinem Medium, dem Material, fester, bleibender Körper. Genau das ist das Widersprüchliche: denn wenn der eigentliche Gegenstand des Interesses das Nicht-Dauerhafte, Flüchtige mit Tendenz zum Unsichtbaren ist, dann entsteht im malerischen Prozess als Auflösung der Konturen trotzdem immer wieder ein aufgelöster oder abstrakter Gegenstand: ein neues Bild, gebunden an sein Medium/Material.

Was heißt also Auflösung? Zersetzen, löschen und neu schaffen?

Mein Bemühen in der Malerei ging immer dahin, das Motiv meiner Bilder zu verfremden, das im Bild eindeutig Sichtbare wieder zu entfernen, es formal zu entstellen. Meine Bewegung geht nicht hin zur Abbildung. Sie will weg von der Abbildung: sie will nicht zeigen, was konkret am Motiv ist, sondern was an Aura, Atmosphäre und Faszination, jenseits von Figuration mit dem Motiv verbunden ist. Auflösung bliebe so aber "nur" Entstellung oder Verzerrung der gesehenen oder dargestellten Formen innerhalb der Vorgabe und Begrenzung des Bildformates und gebunden an das feste körperliche Material von Farbe. Auflösung ist so ein bloßes Un-kenntlichmachen, was nicht Auflösung bedeutet, wenn man das Wort wörtlich nimmt: Ich denke bei der Auflösung des Gegenständlichen an einen Verflüchtigungsprozess, eine Bewegung von einem festen Zustand hin zu einem flexiblen, zu einem verflüssigten, zu einem immateriellen. Von einem konkreten und bestimmten Zustand hin zu einem unbestimmten und "leeren"? In Luft auflösen, in den Fingern zerrinnen lassen? Nicht greifbar sein - verschwinden.

Und trotzdem (noch) da?

Auflösung. Aber wohin und in was? Von einem sichtbaren Gegenstand in ein unkörperliches, unfassbares Wesen?

Realistische Malerei - Abbildung, eindeutige Aussage, konkrete Lösung.

Abstrakte Malerei - Ablösung von konkreter Form, Selbstständigkeit der malerischen Mittel, gegenstandslos.

Auflösung ist auch "eine Lösung" und damit konstitutiv! Es geht nicht nur darum, dass etwas einfach verschwindet, sondern um eine Möglichkeit, andere Bilder entstehen zu lassen?

Monumental, Skulptur, massige Form, Material, gewaltig und gewalttätig, erschlagen, Kraft, Schwere, Zerstörung, Fleisch und Blut, Sehnen, Muskeln, Organe, Stoff, Körperlichkeit, Haut, Ausdruck, große Geste, Gebärde, Präsenz, ansprechend, aussagend. Das ist Körper. Das habe ich immer geglaubt. Von diesem Gedanken bin ich abgekommen. Ich meine, eine Körperdarstellung bezieht sich darauf, beinhaltet, wie man Körper denkt, wie man ihn anschaut. Und im Besonderen wie man ihn empfindet! Man kann ihn nicht anders darstellen. Auflösung am menschlichen Körper vollzogen, menschliche Körper, die sich auflösen, Körper-auflösung, betrachten den Körper in Bezug auf seine Vielfältigkeit und Wandelbarkeit. Bezüglich seiner Flüchtigkeit. Instabilität und Vergänglichkeit. Und auch in Bezug auf seine Uneindeutigkeit und Verschwiegen-heit. Körperauflösung als Körperflucht? Körper ist also gerade nicht Material, Monumental, Skulptur, massige Form usw.

Also: Der Körper ist sterblich. Der Körper ist in Bewegung. In Begegnungen anwesend und beim Gehen im nächsten Augenblick schon abwesend. In der Erinnerung taucht er auf. Beim Vergessen verschwindet er. Seine Sprache ist vieldeutig, nicht ausdrücklich, sondern subtil. Es mischt sich ihm etwas Ungreifbares, ein Paralleles, Unsichtbares und Unverbindliches bei. Jemand ist da. Ich weiß, dass er wieder gehen wird. Man unterhält sich und weiß doch nicht, ob man den anderen richtig verstanden hat, ob man ihn so sieht, wie er "wirklich" ist oder selbst sich so ausgedrückt hat, wie man es meint. Man macht sich ein Bild vom Anderen. Der Andere hat ein Bild von einem selbst. Aber das gleicht nur einem Ausschnitt. Der Rest ist (noch) unbekannt und fehlt.

Ich vollzog die Auflösung im Bild am Körper. Es waren immer menschliche Körper, solche, die ihrer Schwerkraft beraubt sind. Körper in einem nicht definierten Umraum, ohne Ort. Eine Geschichte hat mich bei diesen Körpern nie interessiert. Auch nicht ihre Muskeln und Sehnen, ihre dynamische Bewegung, ihre Gesichter und Mimik, nicht die Ähnlichkeit mit dem Menschen, der portraitiert wird, nicht sein Charakter, der festge-halten werden soll, eher ihre Vergänglichkeit, ihre Nicht-Präsenz, ihre Nicht-Mehr-Körperlichkeit. Ich habe versucht diese Körper zu abstrahieren. Ich wollte sie aus den Bildern eliminieren. Körperauflösung im wahrsten Sinne des Wortes: Abwesenheit! Ein Wechselspiel von Erscheinen und Verschwinden.

Der Gedanke beschäftigt mich, wie man dem Körper seine eigentliche Fragilität wieder zurückgeben kann. Kein festes Bild von ihm zu machen, in dem und durch das er eine dauerhafte Präsenz erhält, sondern wie man die Flüchtigkeit seiner Präsenz reflektieren kann. Dem (Bild vom) Körper seine Begrenzung, seine Definition und Festigkeit nehmen. Der Situation ihre Bestimmtheit und dem Gesicht seine Identität. Und das Wohin ist noch nicht oder wird nie definiert. Es ist leer und unbestimmt. Aber was sind das dann noch für Körper, die im Bild erscheinen? Schatten der Idee des Körpers? Wenn man Abwesenheit in einem Bild thematisiert, löst sich dann auch das Bild auf?

Auflösung ist ein vernichtender Vorgang, ein fragmentierender. Ein Bild wird zerlegt, ein Körper wird zerlegt, seine Einheit wird aufgelöst, zerschlagen, auseinander gerissen. Auflösung ist gleich: Verschwinden, Rückzug, Beseitigung. Beseitigung des Körpers? Beseitigung des Bildes? Beseitigung des Materials?

"(...) Abstraktion bis hin zum

Unangenehmen
Untragbaren
Begeisterungslosen
Undurchdringlichen

Belanglosen
Respektlosen
Gottlosen
Reuelosen

Widerwillen
Ausrenken
Entkörperlichen
Zerlegen

Ich kann mir nicht vorstellen
(konkret)
wie eine einzelne Seele
könnte
würde
sollte
oder wollte

und selbst wenn
ich kann mir nicht denken
(konkret)
dass eine andere Seele
zum Beispiel meine
könnte
würde
sollte
oder wollte

unabhängig

ich weiß was ich tue
nur allzu gut

kein geborener Sprecher

unvernünftig
unteilbar
unwiederbringlich
unerkennbar
entgleist
gestört
deformieren
freie Form
obskur bis hin zum

Wahr Richtig Korrekt
Irgendwer oder jemand
Jeder jede alle

ertrinkend in einem Meer von Logik
dieser ungeheure Zustand der Lähmung
(…)" (Sarah Kane, 4. 48 Psychose)

 

Auszug aus meiner schriftlichen Diplomarbeit "Grauzone" 2011